Sonntag, 24. April 2016

Emotion, Musik und der Schein von Rebellion

von Sarah Kanawin 


Anlässlich der letzten Sonntag zu Ende gegangenen Poolinale möchte ich auf einige der dort gesehenen Filme eingehen und allgemeiner über meine Liebe zur Musik nachdenken. Die meisten von euch haben vermutlich Bands oder Sänger*innen die ihr immer wieder hört, zu denen ihr geweint habt, gelacht und aufgelassen durch die Gegend gesprungen seid, die euch berühren und durch gute und beschissene Zeiten bringen. Für mich ist das vor allen anderen David Bowie und so habe ich mich natürlich sehr gefreut, dass die Poolinale es mir ermöglicht hat „Ziggy Stardust and the Spiders from Mars“ auf der großen Leinwand des
Gartenbaukinos zu sehen. Aber auch die anderen beiden Filme, die ich gesehen habe: „B-Movie: Lust & Sound in West-Berlin (1979-1989)“ und „Don't Think I've Forgotten: Cambodia's Lost Rock And Roll“ berührten mich jeweils auf ihre eigene Art.

Die Magie der Musik
Musik nimmt im Film fast immer eine wichtige Rolle ein. Sie erzeugt Emotionen im Hintergrund oder auch – wie im Musikfilm – in der Hauptrolle. Ein Horrorfilm ohne Ton macht keine Angst sondern ist einfach seltsam oder lustig. Ein stilles in die Arme fallen nach ungeschickter Liebesanbahnung würde uns wohl kaum in Tränen ausbrechen und Star Wars ohne Musik wäre nicht episch, sondern ein Film über Menschen mit Leuchtstoffröhren. Musik kann also etwas, das Bilder alleine nicht können, sie nimmt mit – sie bewegt.

Bewegungslosigkeit im Kino
Umso erstaunter war ich über all die bewegungslosen Körper, die um mich herum im Kino saßen. Denn in mir hat die Musik in allen Filmen einen Bewegungsreflex ausgelöst, der zumindest meinen Fuß wippen und den Kopf wackeln ließ. Vielleicht hat hier die Kinokonvention den Impuls erdrückt – Schade, denn ich hätte mich wohler gefühlt zwischen seltsam herumwackelnden Menschen. Vielleicht wurde auch dem Impuls widerstanden, sich einzulassen und gehenzulassen. Etwas, das ich, zumindest in dieser gefahrlosen Weise sehr gerne mache.

Politische Wirkung
Vor allem „Don't Think I've Forgotten: Cambodia's Lost Rock And Roll“ hat auf krasse Weise gezeigt welche politische Kraft in Musik stecken kann. Der Film erzählt die Geschichte der modernen Musik in Kambodscha und deren brutale Unterbrechung durch die Roten Khmer. Nicht nur die Städte wurden aufgelöst, sondern auch Musik verboten, Musiker*innen verfolgt und ermordet. Die Musik wurde in der bestehenden Form verboten und durch Propagandamusik ersetzt. Dadurch, dass wir die Musiker*innen zunächst in Musikvideos und Auftritten sehen und so eine Beziehung zu ihnen aufbauen, ist ihr Verschwinden und ihre Ermordungen (auch wenn sie nicht explizit zu sehen ist) irgendwie noch krasser, falls das überhaupt geht. Der Bruch der Fröhlichkeit ist brutal und trifft. Die Gefahr, die die Roten Khmer in selbst ganz harmlos scheinender Musik sahen und ihr mörderisches Vorgehen dagegen, hat mit den Pariser Anschlägen eine aktuelle Wiederholung gefunden.

Unpolitischer, politischer Hedonismus
Politisch oder unpolitisch war die Frage bei „B-Movie: Lust & Sound in West-Berlin (1979-1989)“. Wir werden hier durch wunderbare Zeitdokumente der Berliner Untergrundszene dieser Zeit geführt, sehen bekannte und unbekannte Musiker*innen, die neues ausprobieren und sich der euphorischen Stimmung hingeben. Mark Reeder führt uns, seinen Uniformfetisch auslebend, durch Konzerte, improvisierte Musikstudios, abgefuckte Kneipen und majestätische Kaffeehäuser, in denen wir den jungen Ärzten, dem echten Heino, Malaria!, Nick Cave, Christiane F. und vielen weiteren begegnen. Mit den Toten Hosen fahren wir nach Osterberlin und Tilda Swinton fährt mit dem Fahrrad durchs Bild. Das Neue der Musik ist hier sicher politisch. Gleichzeitig interessieren sich die meisten wenig für die andere Seite der Mauer – zu sehen, was dort ist, wäre viel zu anstrengend. Die Begrenztheit und die Konzentration an Künsterler*innen, die sie verursacht, wird genossen. Schön an diesem Film fand ich, dass der Punk, aus der Musik in die Filmsprachen übergesprungen ist – skurrile Splatter Szenen, trashiges Material und gestellte Szenen wurden zu einer stimmigen Mischung. Die Zuschauerin wird eingeladen, für ein paar Stunden auch im jetzt zu leben, mit zu gehen, nicht darüber nachzudenken, ob sinnvoll ist, was da gemacht wird, ob es morgen die Wohnung sichert, wie stark morgen der Kater sein wird – ein tiefer Wunsch in mir, eine Begeisterung, der ich aber eigentlich nicht nachgebe, abseits des phantastischen Mitgehens.

Queer und schräg und so schön
Dass ich mich auf „Ziggy Stardust and the Spiders from Mars“ besonders gefreut hatte, sagte ich bereits und ich war sicher auch voreingenommen. Aber ich hab es wieder genossen, diesen wunderbaren Künstler zu sehen, in Kostümen, die mit Geschlechternormen spielen und diese zumindest für einige weit geöffnet haben. Und er ist so unglaublich schön darin! Ich konnte nicht still sitzen bei alle diesen Liedern, die ich tausendmal gehört habe und es hat mich traurig gemacht, dass es anderen nicht so ging, denn es ist so ein schönes Gefühl. Auch hier ermöglicht das Kino mit der Musik wieder das Entfliehen, die Aussicht auf eine andere, bessere Welt und ich muss dafür nicht einmal etwas tun – andere probieren es für mich aus, nähern sich statt mir an.

Abgefilmte Musik
Natürlich waren es „nur“ abgefilmte Konzerte, Mitschnitte und Interviews und damit etwas ganz anderes, als ein Konzert selbsteine Erinnerung daran, das ist jener Teil, der es auch etwas traurig macht, denn darin steckt die Vergänglichkeit dieser Momente. Gerade die Distanziertheit und Vermitteltheit machen es uns aber auch leichter mitzugehen und uns einzulassen, weil es nichts ausmacht. Es macht Spaß, ist vielleicht auch Erholung, aber ohne etwas zu verändern.