Donnerstag, 15. März 2018

Assoziation zu Christian Froschs „Murer – Anatomie eines Prozesses“

 gesehen auf der Diagonale 2018


Der Schlächter von Vilnius. Die Journalistin lehnt sich zurück, zündet eine Zigarette an, raucht. Klingt zu sehr nach Superheld, finden Sie nicht? - Eher nach Oberschurke, sagt er. Er steht am Fenster, stützt sich am Fensterbrett ab, sieht hinunter auf die Straße. Unten geht einer, geht irgendwie gehetzt, aber auch stramm, stramm wie ein Soldat. - Jedenfalls Badass, ein Name wie aus einem Comic. Das passt nicht, finde ich. Man sollte ihn anders nennen. Sie streckt die Beine aus, die Fußspitzen deuten auseinander. Der Wicht von Vilnius, wie wäre das? Der Gnom, der Wüterich. - Man kann sich nicht einfach einen neuen Namen für ihn ausdenken, so hat man ihn eben genannt, den Murer: Schlächter. Er war auch kein Wicht. Wenn Schlächter Ihnen nicht gefällt, dann schreiben Sie eben einfach nur Murer, einfach den Namen. Der Mann auf der Straße ist hinter der nächsten Ecke verschwunden. Jetzt ist niemand mehr da unten. Trotzdem sieht er weiter hinunter, wartet, ob noch etwas nachkommt. - So werde ich es wohl machen, sagt sie, dämpft die Zigarette aus.



Jetzt nimmt er doch ein Stück Gugelhupf, das ihm Frau Murer mitgebracht hat, entgegen der Vorschrift. Zuerst hat er etwas gereizt bemerkt, er komme sich vor wie Hänsel, den man vor dem Schlachten mästete. Murer kaut still, auch seine Frau nimmt ein Stück, lächelt ihm aufmunternd zu: Keine Angst, es wird gut. Sie weiß es schon. Im Grunde weiß er es auch. Man ist eben nervös, es ist eben eine angespannte Situation. Schließlich wäre es doch zumindest vorstellbar, dass am Ende nicht alles unter den Teppich passt, dass irgendwo ein Zeh herausragt, oder ein Fingernagel, oder dass er sich so stark wölbt, dass man beim Darübergehen jedes Mal stolpert.



Er reißt die Hände hoch. Goldmedaille. Draußen empfängt man ihn mit Blumen. Man hätte vielleicht doch, denkt die Journalistin jetzt, ihm das Messer in den Hals drücken sollen. Was meinst du jetzt?, fragt sie. Er schält einen Apfel, sorgfältig, schnitzt eine zusammenhängende Spirale. - Wahrscheinlich schon, sagt er, schiebt sich die Spirale in den Mund, kaut, schluckt. Man kann die Taten von so einem ja gar nicht in die Sphäre des Rechts hineinnehmen. Was soll ein Gericht ihn freisprechen, was soll es ihn schuldig sprechen? Er schneidet vom Apfel vier Stücke herunter, sodass der Putzen in der Mitte übrig bleibt, nagt das Gehäuse ab, bietet ihr eines der guten Stücke an. Sie hebt die Hand. - Es ist nur, sagt sie. Jetzt macht er weiter wie vorher. Jetzt stößt er mit seinen Freunden von der ÖVP auf den Freispruch an, auf den Sieg der Gerechtigkeit. - Er weiß es schon, sagt er, dass es nicht stimmt. Jetzt isst er selbst eine Apfelspalte. Im Grunde wissen sie es alle. - Wenn es so wäre, sagt sie. Hast du seinen Sohn gesehen? Was wird das für einer werden?